Durch drei Brillen geschaut: Neue Blicke auf ein Werbemittel

Kaufleute für Marketingkommunikation

Alexander Bitter von Berger, Perk & Partner hält Vortrag am Pottgraben

Es ist großformatig, häufig bunt. Es ist eindeutig und gewinnt, indem es reduziert. Es kündigt an und fordert auf. Es bekommt höchstens zwei Sekunden Aufmerksamkeit im Vorübergehen. Im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts von Künstlern wie Henri de Toulouse-Lautrec geschaffen, ist es heute das Massenmedium der Außenwerbung: das Plakat.

Eines der Plakate für die Aktion „Lose für Löwen“ hängt an der Tafel. Ein Zebra blickt den Betrachter frontal an. „Da guckst du!“ steht da in großen Lettern zu lesen. Und die Ankündigung eines Losverkaufs für den Zoo sowie genaue Umstände, in Grün und Weiß, die sich kontrastreich von der Schwarz-Weiß-Fotografie abheben. Alexander Bittner, Geschäftsführer der Agentur Berger, Perk & Partner (BP&P) aus Osnabrück, hatte die Plakate für die BBS-Benefizaktion entworfen, die dem Verein „Löwen für Löwen e.V.“ gewidmet war. Dabei berücksichtigte er Ideen und Entwürfe von Schülern/-innen aus dem diesjährigen Zoo-Projekt. Nun kam er für eine Lehrerfortbildung zur visuellen Plakatgestaltung zum Pottgraben. Auch anwesend sind angehende Marketingkommunikationskaufleute, die an dem Projekt für den Zoo beteiligt waren sowie Auszubildende im Buchhandel.

Bildplakate sind Zeitzeugen. Dies zeigt Bittner an Künstlerplakaten der Pariser Avantgarde, denn die Vorläufer des modernen Plakats entstanden in Paris. Vor rund 130 Jahren warben sie für Schauplätze aus dem Umkreis des Pariser Künstlerviertels Montmartre, insbesondere für Vergnügungsstätten und Varietés. Blickfang war meist eine weibliche Figur, die das zeitgenössische ausgelassene Amüsement der Jahrhundertwende verkörperte. Die großformatigen Werke fanden in ihrer konzentrierten Bildsprache begeisterte Aufnahme beim Publikum. In den europäischen Metropolen, vor allem in Paris, Berlin, Wien und London experimentierten Künstler mit dem neuen Medium und machten die Gebrauchsgrafik zu einer eigenständigen Kunstform, die schon damals Sammelleidenschaft weckte. Der „Kunst der Straße“, publiziert auf Litfasssäulen, traute man sogar ästhetisch veredelnde Massenwirkung zu.

Reizüberflutung der Großstadt und viele neue Produkte: Das Künstlerplakat erzielte in der Aufbruchsstimmung um 1900 zu wenig Aufmerksamkeit. Als Werbekommunikationsmittel stellte nun das Sachplakat das beworbene Produkt ins Zentrum. Der Reklamefachmann war nun mehr gefragt als der Künstler. Kolorierte Flächen, große Buchstaben, starke Kontraste, radikale Reduktion auf die Bildmarke – wichtig waren seit damals Fernwirkung und Einprägsamkeit. Alexander Bittner zeigt typische visuelle Techniken an einem amerikanischen Kriegsplakat aus dem ersten Weltkrieg, einem Appell an die Bevölkerung für den freiwilligen Kriegsdienst: „Uncle Sam, als Personifizierung des amerikanischen Volkes, schaut den Betrachter an, vermittelt eine klare Botschaft über einen direkten Blickkontakt, dem sich der Betrachter kaum entziehen kann: Auf dich kommt es an.“ Das Plakat bringe die Kernaussage durch extreme Reduktion und Symbolik auf den Punkt.

Als Gegensatz dazu wählt Bittner, selbst Diplom-Designer, Plakate von Nikolaus Troxler, geboren 1947. „Ein Plakat, auf dem alles klar ist, ist langweilig“, so der Schweizer Grafiker und bis 2010 auch Organisator des Jazz-Festivals Willisau. Auch Nicht-Musikern ist der Musikevent bekannt durch die Plakate, die Troxler dafür entwarf. Bittner zeigt an zwei Plakaten, wie Troxler optische Gesetze visuell mit subtilen Techniken umsetzt: In dem Plakat von 1980 spiele Troxler mit zwei Farben, violett und gelb, mit Form und Wiederform. Das Lesen werde mehr erschwert als erleichtert. Auf dem Plakat für das Festival 1980 formt ein gelb-rotes Schriftband das Profil des Musikers Felonious Monk. Relevante Informationen erfährt der Leser, indem er beim Lesen des Schriftzugs das Profil des Künstlers selbst nachzeichnet. „Das Verständnis des Plakats setzt Vorwissen voraus“, so Bittner. Wer den Musiker Monk nicht kenne, verstünde das Plakat nicht auf Anhieb. Troxlers Entwürfe verweigerten sich routinierten Sehgewohnheiten von Kommerzplakaten für Durchschnittsbetrachter.

Das „Prinzip der Wiedererkennung“, Kontextwissen vorausgesetzt, zeigt Bittner auch an einem Werbeplakat – seltenerweise querformatig – für ein Theaterstück. Hier nehmen um den Abendmahltisch von Leonardo da Vinci anstelle von Jesus und seinen Jüngern die Protagonisten des beworbenen Dramas „Die zwölf Geschworenen“ Platz. „Das Plakat zitiert Leonardo da Vinci und interpretiert ihn neu“, erklärt Bittner.

Die Humperdinck-Oper Hänsel und Gretel erzählt das bekannte Märchen rund um das Knusperhäuschen. Das Plakat der Oper Frankfurt wirbt allerdings mit der Fotografie eines von der Mitte aus angeknabberten modernen Kekses. Diese visuelle Überraschung aktiviere stark durch die außergewöhnliche Idee im Umfeld vieler traditioneller Märchenbilder, resümiert Bittner.

„Manchmal sind Plakate noch bekannter als die dahinter stehenden Events“, belegt Bittner am Plakatwettbewerb für die Kieler Woche. Es gelte als Ritterschlag in der Branche, das Plakat für die Segelregatta zu gestalten. Hoher künstlerischer Anspruch zeigt sich häufig in frappierender Einfachheit der Grafik mit großer Eindrücklichkeit. „Vier blaue DIN A 4-Blätter werden auf weißem Untergrund zu A1 zusammengelegt, auf der Hälfte leicht auseinanderbewegt, es entsteht ein Horizont. Ein blaues Blatt wird leicht nach außen gedreht, schon entsteht ein Segel. Mehrschichtig, klar und überzeugend“, erläutert Bittner.

Unter aktuellen Plakaten der Kieler Woche prangen auch die Logos der Hauptsponsoren. Ein typisches Zeitzeichen, so Bittner. „Heute entscheidet das Briefing des Auftraggebers, welche Informationen dieser unbedingt auf dem Plakat unterbringen will.“ Dies könne leicht zu einer Überfrachtung des Plakats führen. Deswegen stehe für ihn mit Auftraggebern das Gespräch von Mensch zu Mensch im Vordergrund. Was will der Auftraggeber im Kern vermitteln? Welche Kunden will er erreichen?

Die Herausforderung bestehe in der Kommunikation heute darin, ein Gleichgewicht zwischen drei Anspruchsgruppen herzustellen: Auftraggebern, Gestaltern und Zielgruppen. „Als Grafiker blicken Sie durch drei Brillen auf ein Plakat. Bittner zeigt es am Plakat für die BBS-Benefizaktion „Lose für Löwen“:

  1. Der Blick durch die Brille der Wirtschaftlichkeit: Alle zentralen Aussagen auf ein Plakat bringen, sodass der Betrachter versteht, worum es geht und was er tun soll. „Auf welche Zusatzinfo will der Auftraggeber nicht verzichten?“ Beim Zoo-Plakat sind dies insgesamt drei Logos und nähere Umstände des Losverkaufs in den Klassenräumen.
  2. Der Blick durch die Brille des Gestalters: „Die Gestaltung transportiert die eigentliche Botschaft.“ Das heißt, Bilder und Typographien auswählen, die sich gegenseitig unterstützten. Einen Aufbau konzipieren, der die Informationen verstehbar mache. „Die Botschaft eines Plakats muss auch im Briefmarkenformat funktionieren.“ Das Zoo-Plakat besteht aus einem Schwarz-Weiß-Foto, kontrastierend hebt sich Schrift davon ab: Große transparente Letter springen den Betrachter fast an. Ausgestanzt aus einer grünen Fläche erinnern sie an einen Stempelaufdruck. So einfach, dass man es auch sprühen könnte. Nähere Infos treten zurück in Form einer kleineren Schriftart. Von weiterer Information wird das Plakat entlastet durch den QR-Code, der Interessierte auf die Internetseite führt.
  3. Der Blick durch die Brille der Zielgruppen: Was ist ihnen zurzeit wichtig? Augenblicklich sei Handlettering verbreitet, als Ausdruck von Individualität und Persönlichkeit. Trends dieser Art greife Bittner auf, ebenso wie den aktuellen Farbgeschmack. „Die Kunst imitiert sich immer wieder“, so Bittner, es gelte, das Marktgeschehen im Blick zu behalten und grafische Moden wahrzunehmen. Die Prise Witz im Ausruf „Da guckst du!“ in Verbindung mit einem sympathischen Zootier auf dem BBS-Plakat, das den Betrachter frontal anblickt, treffe den Nerv der Zielgruppen.

Nikolas Troxler bedauert in einem Interview 2001 die Aufgabe eines künstlerischen Anspruchs der Plakatgrafik zugunsten einer stromlinienförmigen, rein marktorientierten Anpassung, „durchgestylt im Sinne einer Corporate Identity“: „Meine Lehrer konnten noch Kommerz- und Kunstplakate machen, die Welten waren damals noch nicht so getrennt. Aber heute ist eine Kampagne von A bis Z durchgestylt, oft global ausgerichtet. Kurz nach der Öffnung des Ostens sah ich in Prag ein Plakat für Coca-Cola. Es war großartig, sehr wild, sehr eigenständig, von einem Graphiker aus der Gegend. Zwei Jahre später hatten sie dieses langweilige Keep-cool-Zeug, das man überall auf der Welt sieht.“

Ein Wegbereiter der modernen Plakatgestaltung, Julius Klinger, stellte schon 1912 fest, dass Werbegrafiker „Kunst im Dienste des Kaufmanns“ schüfen, nicht „Ewigkeitswerte, sondern anspruchslose Arbeit, der Mode des Tages unterworfen.“

Aber er hoffe, dass die Arbeiten von Werbegrafikern einen Beitrag dazu stifteten, ihrer Zeit „einen nennenswerten Charakter zu geben“, und dass sie in der Zukunft „starke Kulturdokumente“ darstellten. Bildplakate sind Zeitzeugen. Der Vortrag von Alexander Bittner hat dies gezeigt.

Zur Person: Alexander Bittner

Geschäftsführer von Berger, Perk & Partner Konzept und Kommunikation

Nach Stationen in Düsseldorf (Grey) und der Schweiz im Jahr 2000 in Osnabrück bei Die Drei! gelandet und dort 14 Jahre als Art Director, ab 2010 Senior Art Director und Kundenberater tätig gewesen. Im Oktober 2014 Wechsel zu Berger, Perk & Partner, dort seit 2015 als Geschäftsführer. Schwerpunkte in den Bereichen Corporate Design, Branding (auch Employer Branding) und B2B-Kommunikation. Neben einer am Kunden orientierten Marketingberatung auch hohe Kompetenz in der Realisation von Konzepten print wie online.

Mehr zu Alexander Bittner bei kressKöpfe

Stefanie Gerwesmann

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