„Es gibt im Handel keine wirkliche Alternative zum in Plastik verpackten Einwegtaschentuch“, stellte Silke Kretzing, die als „Eventfee“ und „Wortfee“ beruflich eigentlich im Veranstaltungswesen aktiv ist, beim Einkaufen am Supermarktregal fest. Wer darüber hinaus noch Wert auf Haptik, Optik, Hygiene und Unkompliziertheit lege, brauche auch etwas anderes als Omas und Opas Stofftaschentuch. Hatte Silke Kretzing eine Marktlücke entdeckt?
Etablierte Marktplayer wie Tempo setzen in Deutschland im Jahr aktuell etwa 400 Mio. € um, Tendenz steigend. Das entspricht für 2023 einem erwarteten Pro-Kopf-Verbrauch an Papiertaschentüchern von 1,68 kg und 4,72 € Pro-Kopf-Umsatz (Quelle: Statista Marktprognose 2023). Wie soll ein kleines Start-up aus Bad Iburg angesichts dieser Marktriesen überhaupt die Wahrnehmung von Endverbrauchern, geschweige denn eine Listung im Handel gewinnen?
Die gebürtige Rheinländerin entwickelte in 18 Monaten ein Bio-zertifiziertes Baumwolltuch bis zur Marktreife, 22,5 cm im Quadrat, fair gefertigt, 60°C-waschbar, plastikfrei verpackt, mindestens fünf Jahre wiederverwendbar.
Die Kaufleute für Marketingkommunikation (Klasse MA20A3) verfolgten die Idee und die Entwicklung der Marke StoffOS über einen längeren Zeitraum. Über Teams kamen sie schon in der Corona-Zeit mit Silke Kretzing ins Gespräch. Erfuhren, wie sie behördliche Hürden genommen, das Gewerbe angemeldet, EORI Zollnummer beantragt, das Unternehmen bei der IHK angemeldet, den Markennamen und über 12 Produkte und einen Gebrauchsmusterschutz für die StoffOS-to-Go-Tasche durch Eintrag beim Deutschen Patent- und Markenamt in München geschützt hatte, Letzteres mit Hilfe eines Patentanwalts. Sie erfuhren aus erster Hand, dass die verstärkte Nachfrage nach Biobaumwolle zu Lieferengpässen und Preissteigerungen führten. Sie erlebten erste kommunikative Auftritte von StoffOS in Social Media, produziert im zum Studio umgestalteten Wohnzimmer der engagierten Gründerin. Die Website ging online, Werbefotos zeigten Produktdiversifikationen wie die StoffOS-Serviette mit Knopfloch. Ein Online-Shop entstand im Dezember 2021 und in städtischen und regionalen Geschäften waren bereits StoffOS-Verkaufsdisplays zu sehen. Werbetexte für die Website und die Produktverpackungen entwickelten sich weiter, wurden ebenso verfeinert wie die StoffOS-Farbwelt.
Im Deutschunterricht trugen die Schülerinnen und Schüler ihre Gedanken zum werblichen Auftritt bei. Sie entwickelten zunächst Leitfäden für erfolgreiche Werbetexte, für Storytelling und Content-Marketing, um diese dann auf StoffOS anzuwenden.
Sie reflektierten kaufrelevante Stärken des Produktes und Kernnutzen für die Zielgruppen.
Die Marketingkommunikationskaufleute entschieden sich für die Schonung der Umwelt als StoffOS-Benefit.
StoffOS soll es schaffen, in eingefahrene Alltagsgewohnheiten einzugreifen, will den schnellen Griff zum Papiertuchspender ebenso ersetzen wie den routinierten Papierkorbwurf eines zusammengeknüllten Papiertaschentuchs, mit dem sich Nutzerinnen und Nutzer das Umweltproblem Zellstoffverschwendung erst einmal aus dem Blick schaffen.
Eine erhebliche Verhaltensänderung, die in Gang kommen soll! Das bedarf eines starken emotionalen Arguments für Zielgruppen, die latent bereit sind, den Schwung der aktuellen Klimaschutz-Strömungen aufzugreifen und umzusetzen. Aber häufig fehlt der letzte Ruck, um ins Handeln zu kommen. Gruppe 1 probierte es dementsprechend mit „Werde ein Held und rette die Welt“, um von Osnabrück ausgehend den Startschuss in die Post-Papiertuch-Ära zu geben.
Gruppe 2 versuchte es mit Vernunft und rationaler Argumentation. Die Gruppe schrieb einen Online-Artikel und stellte die Idee eines Online-Rechners vor, mit dessen Hilfe Verbraucherinnen und Verbraucher den eigenen Konsum von Zellstoff für Einmaltaschentücher in Holz-, Energie- und Wasserverbrauch ausrechnen können.
Gruppe 3 setzte auf Werbetexte, die auf Gewissenserleichterung bei Konsumenten setzen.
Gruppe 4 betonte in den Werbetexten die Positionierung im Bereich der Balance- und Dominanz-Motive: Du hast es in der Hand. Dein Handeln bewahrt.
Gruppe 5 schlug einen Imagefilm mit einer StoffOs-Story für Social-Media-Kanäle vor.
Silke Kretzing bedankte sich bei der Klasse für so viel Engagement und schenkte den Gruppenmitgliedern jeweils ein StoffOS-Taschentuch, individualisiert mit einem von der Gruppe entwickelten Slogan auf der Verpackung.
Die aktuellen Werbetexte für ihr Produkt formulierte die „Wortfee“ Silke Kretzing dann jedoch selber: Nice to Nose and Nature. StoffOS – Richtig guter Stoff für die Nase.
Stefanie Gerwesmann
Quelle: Taschentücher - Deutschland | Statista Marktprognose, abgerufen am 27.08.2023
Fragen an StoffOS-Gründerin Silke Kretzing:
Stefanie Gerwesmann: Silke, was waren für dich die größten Learnings – fachlich und persönlich – seit du dein Unternehmen StoffOS gegründet hast?
Silke Kretzing:
1. Du bist nie zu alt, noch einmal mit etwas Neuem durchzustarten. Das Neue hält jung.
2. Du kannst alles lernen, es dauert nur manchmal etwas länger, von Social Media bis hin zu Interviews geben, bei Podcasts dabei sein, sich selbst vor die Kamera stellen. Und: Es gibt keine Zufälle.
3. Auf einmal lernte ich viele interessante neue Leute kennen, war im IHK- Magazin, auf dem Titel der Sonderbeilage der NOZ „Frau und Wirtschaft“… Dadurch steigt immer der Onlineshop-Umsatz. Also mehr Pressearbeit!
4. Individualisierte StoffOS mit Firmenlogo oder Veranstaltungsmotto für den B2B-Bereich sind neben Freudentränentrocknern für Hochzeiten im B2C-Bereich interessante Produkte, weiter ausbauen!
S.G.: Die Umsatzzahlen für Wegwerf-Taschentücher steigen immer weiter an. Konsumentscheidungen laufen häufig automatisiert und gedankenlos ab – ob Coffee-to-go-Becher oder Papiertaschentuch, Hauptsache schnell verfügbar und einfach im Handling. Wie holt StoffOS uns aus unserer „Convenience-Blase“ heraus?
S.K.: Ja, das beobachte ich bei zufälligen Begegnungen am Supermarktregal genauso. Ich hatte zu Beginn gedacht, dass es schneller gehen würde Fuß zu fassen, in Zeiten von Wetterextremen und Klimakrise mit einer nachhaltigen Idee, die mehr Komfort als das Wegwerfprodukt liefert und die man ganz einfach mit in die normale 60°C- Wäsche geben kann. Doch die Verhaltensänderung ist die größte Herausforderung. Ich habe an alle Bundesministerien StoffOS-Proben versandt, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. Es macht mir Mut, dass es bei einigen Personen gut zu klappen scheint, und in einigen Einzelhandelsgeschäften und z. B. in Bio-Hotels werden gute Umsätze erzielt. Auch Unternehmen nutzen StoffOS als Kunden- oder Mitarbeitergeschenk.
S.G.: Welche Marketingaktivitäten unternimmst du zurzeit für StoffOS?
S.K.: Viele – analog und digital! Auf der Website entsteht ein B2B-Bereich, in dem man sein Logo hochladen kann, um individualisierte StoffOS zu ordnern.
Die „Schultüte ohne Ramsch“-Aktion werde ich im nächsten Jahr ausbauen.
Wichtig ist weiter die Ansprache von Händlern, die StoffOS listen. Dafür möchte ich auch StoffOS-Botschafter gewinnen. Mehr dazu demnächst auf der StoffOS-Infokarte, die sich als Einleger in den Verpackungen befindet.
Weitere Informationen unter der Website StoffOS