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Die Fortbildungsreise wurde ein Mal verschoben, wurde ein zweites Mal verschoben, wurde noch einmal verschoben und der Reisekosten-Eigenanteil war wieder auf dem Konto. Alle dachten, das war es dann. Doch schließlich im Juli 2022 erschien völlig unerwartet Licht am Horizont – ein neuer Termin war von Yad Vashem benannt worden. Leider lag dieser gänzlich in den niedersächsischen Herbstferien: 20. bis 30. Oktober. Jetzt oder nie, lautete ab nun die Devise. Ganz coronakonform wurde noch ein Online-Seminar vorgeschaltet und schließlich traf sich die nur leicht anders zusammengesetzte Reisegruppe erstmalig wieder live am Frankfurter Flughafen. Abflüge nach Israel stehen nach wie vor unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen, so harrten wir abgetrennt vom Flughafengetümmel unserem Abflug entgegen. Wir fielen (für einige nach mehr als 20 Stunden Anreise) um 2:00 Uhr Ortszeit in Tel Aviv ins Bett. Wir mussten die erste „Nacht“ dort verbringen, weil das Hotel überbucht war, in dem wir für unseren Jerusalem-Aufenthalt untergebracht werden würden.

Nun folgte ein strammes Programm, das im Laufe der Zeit das eine oder andere Opfer forderte. Es fiel immer mal wieder jemand tageweise krankheitsbedingt aus. Der erste Regentag („Es regnet wie in Wilhelmshaven.“) hatte eine ganztägige Stadtführung durch die Jerusalemer Altstadt zum Thema. Damaskus-Tor, Grabeskirche und Klagemauer sind nur einige Highlights dieses Tages. Der Ruhe und Untätigkeit des nachfolgenden Sabad entflohen wir, indem eine Fahrt nach Ramallah zur School of Hope angesetzt worden war. Dieses ist eine evang.-luth. Privatschule. Dort durften wir hautnah die Anstrengungen erfahren, die die Repressalien des Staates Israel den Palästinensern in der Westbank tagtäglich abverlangen. Die Nöte und die Zermürbung angesichts der Hoffnungslosigkeit der rigorosen israelischen Politik in Bezug auf Palästina waren mit den Händen zu greifen. Wir waren einigermaßen empört über die wahrgenommenen und geschilderten Zustände. Und dennoch, all dieser Widrigkeiten zum Trotze, gewährte uns ein offenes und gastfreundliches Kollegium Einblicke in seinen Alltag in einer allerdings durchaus privilegierten christlichen Privatschule. Es schlossen sich eine Stadtführung durch das quirlige Ramallah und ein Besuch im Arafat-Museum an. Beeindruckende Exponate, historisches Filmmaterial und viele Fotos gaben dort eine palästinensische Sicht auf den Nahost-Konflikt wieder, die nicht nur die Geschichtslehrer/-innen unter uns ins Grübeln brachte. Ein erneut eindrucksstarker Tag war vorbei.

Doch der eigentliche Anlass, weshalb wir überhaupt in Israel waren, lag noch vor uns. Fünf Tage von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr, manchmal 17:45 Uhr, wurden wir per Bus von unserem Hotel in Jerusalem quer durch die Stadt zur Gedenkstätte für den Holocaust nach Yad Vashem gefahren. Es war ein Marathon. Vorträge und Seminare in deutscher oder englischer Sprache über die Singularität des Genozids an den Juden wechselten sich mit Workshops über die pädagogische Eignung des einen oder anderen Materials ab, nur unterbrochen von Geländeführungen, Museumsbesuchen und einem Zeitzeugengespräch mit einer Holocaust-Überlebenden. Mental völlig überfordert und erschöpft fielen wir abends in unsere Hotelbetten, um für den nächsten Tag gewappnet zu sein. Nur ganz gelegentlich reichte die Kraft noch für abendliche Ausflüge in die Jerusalemer Altstadt, die trotz aller Militärpräsenz ein lebhaftes und buntes Bild bot – bis 21:00 Uhr. Dann klappten die „Bürgersteige“ hoch. Es wurde still und dunkel und auch unheimlich – kein Ort für längere fröhliche nächtliche Aufenthalte.

Voller freudiger Erwartung starteten wir deshalb nach diesen fünf Tagen in Richtung Tel Aviv. Auf unserem Weg dorthin machten wir Station in einem Kibbuz, deren Ursprungsgedanke – wie wir erfahren durften – nur noch von den Älteren mit Konsequenz gelebt wird, fuhren entlang der Green Line in die besetzten Gebiete und wurden Zeugen der Absurdität der politischen Realitäten in diesem zerrissenen Land. Komplexe Hochhaus-Siedlungsbauten in der Wüste, willkürliche Grenzziehungen, hochbewaffnete Militärposten, die für Palästinenser wichtige Verbindungsstraßen kontrollieren, absperren und nicht nur gelegentlich die Passage verweigern, sofern ein Fahrzeug die falsche Farbe oder das falsche Nummernschild trägt. Hoffnung auf eine friedliche Koexistenz in einem Gebiet, auf das sowohl Juden als auch Palästinenser berechtigte Ansprüche erheben, schien uns nach diesen Eindrücken weiter weg denn je.

Nach diesen eher deprimierenden Erfahrungen erreichten wir gegen Nachmittag erwartungsvoll endlich Tel Aviv. Gerade noch rechtzeitig für ein Bad im Mittelmeer, bevor ein sagenhafter Sonnenuntergang auch diesen Tag beendete. Aber nicht, dass nun Müßiggang einzog. Am nächsten und letzten Tag sollten wir Tel Aviv-Jaffa durch einen professionellen Guide, der sich extra aus Haifa herbemüht hatte, kennenlernen. Diese Stadtführung hatte es in sich. Damit wir nicht schlapp machten, mussten wir an den Ausgangspunkt dieser intensiven Führung erst noch gefahren werden. Nicht einfach, am Sabad in Tel Aviv Taxen zu bekommen. Nach einstündigem Versuch konnte unsere sechsstündige Stadtführung in Jaffa beginnen und uns über zwölf Kilometer an den zentralen Endpunkt in Tel Aviv-Stadt bringen. Nicht wenige brachen ab. Bei 30 Grad Umgebungstemperatur war dieses eine maximal intensive Stadtführung. Gerade noch rechtzeitig zum Tagesabschlussbad erreichten wir unser Hotel. Ein letztes Abendessen in einem Strandrestaurant vor der abschließenden kurzen Nacht vor der erneut mehr als zwanzigstündigen Rückreise rundete diese in vielerlei Hinsicht unvergessliche Fortbildung ab.

Marion Fründ

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