Die MA18A3 auf Innovationskurs im Seedhouse mit dem Start-up Farmerscent

Neues aus niedersächsisch Kalifornien, dem Silicon Valley der Landwirtschaft

„Kühe, Schweine, Osnabrück!“ skandiert es von den Rängen der Bremer Brücke von Zeit zu Zeit, allerdings von den gegnerischen Fußballfans. Was keinesfalls schmeichelhaft gemeint ist, trifft im Kern doch zu. In keiner Region Deutschlands leben mehr Tiere in landwirtschaftlicher Haltung als in der Region Weser-Ems. Hohe landwirtschaftliche und technologische Expertise und ein intensiver Innovationsdruck bescheren der Branche immer wieder überdurchschnittlichen Zuwachs an Ideen und Erneuerungen, seien es nun Stalleinrichter oder Landmaschinenhersteller.

Der Begriff „Agriculture Valley“ bringt es auf den Punkt. Teil davon ist auch Victor große Macke (25). Er ist auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen, absolvierte eine Ausbildung als Landwirt und studierte an der Hochschule Osnabrück Agrarbusiness. Er tüftelte an Problemlösungen für die Schweinehaltung und wurde mit seinem Prototyp prompt in den Agrar-Accelerator „Seedhouse“ aufgenommen. Damit erwarb sich große Macke 10.000 € Budget, ein Büro für eine begrenzte Zeit sowie fachliche und mentale Projekt-Begleitung durch Beratung und Unterstützung für sein Unternehmen „Farmerscent“ im Seedhouse. Als Win-Win-Situation entwickelte sich eine Zusammenarbeit zwischen Victor und den Kaufleuten für Marketingkommunikation der Klasse MA18A3 von den BBS Pottgraben.Die angehenden Marketingexperten engagierten sich im Rahmen eines Schulprojekts für ein Kommunikationskonzept für Victors Start-up Farmerscent. Bei einem Ortstermin im Seedhouse stellte Victor den Berufsschülern/-innen seine Innovation vor.

Das Problem und seine Lösung

Das Schwein ist ein komplexes Tier. Im körperlichen Aufbau dem Menschen sehr ähnlich, ist es daher sogar als möglicher Organspender bereits im Gespräch. Als fleischliches Nahrungsmittel ist das Schwein beliebt. Die Haltung ist anspruchsvoll - gelten die Tiere doch auch als sensibel und gesundheitlich anfällig. Die politischen Diskussionen und Gesetzesverschärfungen um das Ringelschwanzkürzen zur Vermeidung von gegenseitigen Bissverletzungen im Schweinestall macht dies deutlich. „Der Hang zum Beißen besteht unabhängig von der Gruppengröße, also auch in kleinen Herden“ stellt Victor große Macke klar. Ein weiterer Aspekt ist der Hang zu Erkältung und Husten.

Prävention statt Heilung – das Produkt

Stressreduktion und Stärkung des Immunsystems sind Victors Strategien für Ausgeglichenheit und Gesundheit im Schweinstall. Dafür greift er mit seiner Innovation auf natürliche ätherische Öle zurück, gewonnen aus hochwertigem französischen Lavendel und aus Eukalyptus. Die ätherischen Öle werden als Liquids mithilfe einer Box, dem Aerodiff, vernebelt und verteilen sich im ganzen Stall. Nachweislich beeinflusst dieser Eingriff in das Stallklima das Befinden der Schweine positiv. Die natürlichen Wirkstoffe schützen die Atemwege und entspannen die Tiere. Victor große Mackes Ansatz: Veterinärkosten verhindern durch gesundheitliche Prävention, Gefahrenquellen abmildern, eine wirksame Alternative zum gesetzlich verbotenen Ringelschwanzkürzen schaffen.

Inhalieren für Schweine - Vermarktung im Berufsschulprojekt

Für Küchen, für IT-Leistungen, für Fan-Artikel, für Autoreifen, für Haushaltsartikel aller Art, für Messen, für Virtual Reality, für so manches andere hatten sich die Schüler/-innen der MA18A3 in ihren Ausbildungsbetrieben bereits über ein Jahr lang engagiert, als sie auf Victor große Macke und sein Start-up Farmerscent trafen. Sie arbeiteten mit Kunden- und Marktanalysen, erstellten Kommunikationskonzepte und -mittel. Jetzt bekamen sie es mit dem landwirtschaftlichen Umfeld zu tun. „Es gibt B2B-Marketing [Business-to-Business], B2C [Business-to-Consumer] – und eigentlich müsste man davon noch B2F unterscheiden, das heißt Business-to-Farmer“, betont Victor große Macke. Aus eigener Erfahrung berichtet er, selbst Bauernsohn, dass Landwirtinnen und Landwirte als Kundschaft besonders anspruchsvoll seien. Nur zielführende, schlüssige, authentische Kommunikation, die zugesagte Versprechen auch halte und Vertrauen nicht zerstöre, sei hier erfolgreich. Begeistert stürzten sich die Schüler/-innen über mehrere Monate in die Arbeit, erstellten in Kleingruppen Kommunikationskonzepte für Farmerscent und konkretisierten ihre Pläne in Maßnahmen. Der Jungunternehmer unterstützte die Schüler/-innen, indem er bei mehreren Zwischenpräsentationen in der Schule Feedback gab.

Anfang Mai 2020 – mitten im ersten harten Lockdown – war es so weit. Vier Gruppen präsentierten über Zoom einen ganzen Schultag lang ihre Vorschläge für ein Kommunikationskonzept. In der Jury: der Gründer Victor große Macke, der Geschäftsführer des Seedhouses Florian Stöhr sowie die betreuenden Lehrkräfte Gregor Böhnke, Stefanie Gerwesmann und Sebastian Pöhler.

Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen: Von kreativen Vorschlägen für die Corporate Identity mit Logo-Varianten, einer SWOT-Analyse, einer Zielgruppenanalyse bis hin zu einer Positionsbeschreibung mit Alleinstellungsmerkmal lieferten die angehenden Marketingexperten ihre Konzepte. Ideen zur Kommunikation über fachspezifische Printprodukte, Social-Media-Kanäle aber auch zu möglichen Veranstaltungen verknüpften die Schüler/-innen mit realistischen Budget- und Zeitplänen. In einem sechsstündigen Pitch über eine digitale Plattform bekam Unternehmensgründer Victor große Macke einen Kreativitäts-Push von der Pottgrabenklasse. Zusammen mit Florian Stöhr saß Victor im Seedhouse vor dem Laptop und äußerte sich im Feedback beeindruckt von den Leistungen.

Rückblick auf das Projekt von Victor große Macke im Juni 2021

Ein Jahr später: Die Klasse MA18A3 hat nach dreijähriger Ausbildung im Juni 2021 ihren Berufsschulabschluss erworben. Alle Schüler/-innen haben bestanden. Einer wurde sogar bester Absolvent des Ausbildungsberufs Kaufmann für Marketingkommunikation im IHK-Bezirk.

Wie entwickelte sich Farmerscent unter den Voraussetzungen einer Pandemie und eines dramatischen Umbruchs auf dem Schweinefleischmarkt?

Dazu ein Interview mit Victor große Macke:

Victor, du hattest unseren Schülerinnen und Schülern ans Herz gelegt, besonders die Beweggründe der Zielgruppen im Auge zu behalten: Kosten sparen, verbraucherfreundliche Alternativen zur Veterinärmedizin bieten, Tierwohl durch verbessertes Stallklima steigern. Welche Rolle spielen diese Faktoren heute, im Herbst 2021, angesichts leerstehender Schweineställe? Brechen Farmerscent die Zielgruppen weg?

Die Branche ist aktuell unfassbar im Umbruch. Ursachen, wie z.B. die Afrikanische Schweinepest oder der gesunkene Absatz in der Gastronomie lassen die Preise in den Keller rauschen. Dazu kommen ein übersättigter europäischer Binnenmarkt und die rückläufige Nachfrage nach Schweinefleisch. Aber auch immer strengere Auflagen und ausufernde Bürokratie setzen die Betriebe enorm unter Druck. Hier sind es insbesondere die Familienbetriebe, die darunter leiden. Natürlich beeinflusst all das unsere Firma immens. Beschweren möchte ich mich aber sicherlich nicht. Ein Großteil meines Freundeskreises ist in der Landwirtschaft tätig. Aktuell bedeutet das für einen Schweinehalter: jeden Morgen aufstehen, um seine tägliche Arbeit zu verrichten in dem Wissen, dass man nicht nur kein Geld verdient, sondern auch noch welches beigibt. Dies ist ein viel härteres Los als ein langsameres Wachstum der eigenen, kleinen Unternehmung. Deshalb ist es für uns noch wichtiger geworden, die Beweggründe und die Situation unserer Kunden zu verstehen. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, dass jede Krise Chancen bietet, so auch die Coronazeit.

Wie habt ihr bei Farmerscent die Corona-Zeit genutzt?

Durch den Wegfall von langen Fahrtzeiten zu Terminen und Kundenbesuchen vor Ort, hatten wir wieder deutlich mehr freie Ressourcen. Diese haben wir genutzt, um Produktinnovationen, die eigentlich erst für die zweite Generation unseres AeroDiffs geplant waren, schon jetzt umzusetzen. Zudem haben wir zwei weitere Neuprodukte entwickelt, die wir hoffentlich bald auf den Markt bringen können. Nebenbei habe ich (endlich) mein Studium beendet. Langweilig wurde es bei uns also nicht. Corona gab aber auch einen konkreten Anreiz, uns kritisch mit unserem Geschäftsmodell und unseren Strukturen auseinanderzusetzen. Wie krisenfest sind wir und wie krisenfest können wir eigentlich sein? Welche Prioritäten setzen wir bei der Auswahl unserer Zulieferer und Partner? Solche Fragen konnten wir unter dem Gesichtspunkt Corona aus einer ganz anderen Perspektive beleuchten und haben viele Erkenntnisse daraus gewonnen.

Die angehenden Kaufleute für Marketingkommunikation hatten für Farmerscent Kommunikationskonzepte präsentiert. Haben sie sich als praxistauglich erwiesen?

Viel mehr als das! Zunächst einmal möchte ich mich nochmal ausdrücklich für die engagierte Arbeit bei allen bedanken. Auch wir konnten in diesem Projekt unheimlich viel lernen. Die Abschlusspräsentationen der einzelnen Gruppe dienten mir immer wieder als Navigationshilfe im Aufbau der Firma. Mir gefiel die grundsätzlich positive Arbeitsatmosphäre. Kreative Ideen, manchmal auch verrückte, wurden zugelassen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Idee einer Schülerin, unser Produkt nach dem Vorbild von „Tupper-Partys“ zu vertreiben. Ich muss zugeben, umgesetzt haben wir diese noch nicht, aber das hohe Maß an Kreativität und Eigeninitiative war beeindruckend. Hier muss man auch die Lehrerin und die Lehrer loben. Sie haben die Schülerinnen und Schüler einfach mal machen lassen und bei Bedarf Hilfestellung gegeben. Wie sich herausgestellt hat, war das genau der richtige Mix.

Welchen unternehmerischen Tipp kannst du aus deiner Erfahrung den Kaufleuten für Marketingkommunikation mit auf den Weg geben?

Das meiste muss ich ja selbst noch lernen, deshalb weiß ich nicht, ob ich für unternehmerische Tipps wirklich der Richtige bin. Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist, dass sie die enorme Bedeutung ihres Berufes verinnerlichen. Kommunikation ist viel mehr als das reine Bewerben von Dienstleistungen und Produkten. Sie kann dazu dienen, Informationen zu übermitteln, Emotionen zu wecken, Verständnis zu schaffen und vieles mehr. In der Landwirtschaft haben wir es lange versäumt zu kommunizieren und finden uns heute in einer Gesellschaft wieder, die den Entwicklungen der letzten Jahre äußerst kritisch gegenübersteht. Mit der richtigen Kommunikation hätte dies vielleicht verhindert werden können. Ansonsten kann ich alle nur dazu ermuntern, mal nach links und rechts zu schauen. Durch die Gründung bin ich mit so vielen neuen Themen in Berührung gekommen, die mich in meinem „gelernten“ Beruf als Landwirt niemals beschäftigt hätten. Jeden Tag lerne ich etwas und das empfinde ich als ein ziemliches Privileg.

Rückblick auf das Projekt von John Feldheim

John, Sie sind als bester Absolvent im Beruf Kaufmann für Marketingkommunikation von der IHK Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim kürzlich geehrt worden. Dazu erstmal herzlichen Glückwunsch!

Vielen lieben Dank, Frau Gerwesmann! An diesem Ergebnis hatten Sie mit dem Kollegium einen großen Anteil. Deshalb freut es mich, dass wir Anfang Oktober zusammen einen entspannten Nachmittag in der OsnabrückHalle bei der Bestenehrung verbracht haben.

Wie haben Sie die Arbeit am Projekt Farmerscent empfunden und was haben Sie daraus für Ihre berufliche Entwicklung mitgenommen?

Ehrlich gesagt habe ich am Anfang nicht gedacht, dass das Projekt für uns alle so groß werden wird. Angefangen von dem Lernen theoretischer Grundlagen der Entwicklung von Kommunikationskonzepten bis hin zur Präsentation vor Victor und dem Team des Seedhouse war es ein langer Weg. Jede Gruppe hat sich auf ihre eigene Art und Weise mit dem Projekt beschäftigt, jedoch immer mit dem Ziel, Victor die bestmöglichen Handlungsempfehlungen mitgeben zu können. Auch nach mehreren Projektarbeiten in meiner Schullaufbahn konnte ich bei diesem insbesondere die Koordinierung von Arbeit im Team für meine berufliche Entwicklung mitnehmen.

Wie haben Sie Ihre schulische Ausbildung zum Kaufmann für Marketingkommunikation an den BBS Pottgraben empfunden?

Den schulischen Teil meiner Ausbildung habe ich als qualitativ sehr hochwertig empfunden. Hier möchte ich nochmals das Kollegium hervorheben, das nicht nur Unterricht nach Plan gegeben hat. Es wurde immer versucht, über den Tellerrand zu blicken und praktische Erfahrungen mit einfließen zu lassen. Dadurch ist eine besondere Atmosphäre entstanden und jeder in unserer Klasse war motiviert, mitzuarbeiten und zu lernen. Die Klassengemeinschaft war zudem extrem gut, was die drei Jahre sehr schön gemacht hat.

Würden Sie aus Erfahrung anderen empfehlen, den Beruf Kaufmann/Kauffrau für Marketingkommunikation zu lernen? Warum?

Aber sicher doch, Marketingkommunikation ist eben doch viel mehr als nur „Irgendwas mit Medien“. Mit der Ausbildung legt man einen soliden Grundstein für einen guten Start in der Marketingwelt oder auch in anderen Bereichen. Nach dem Abschluss stehen einem sowieso alle Türen offen. Ich arbeite nun in einem eher analytischen, statt kreativen Beruf. Kaufmann für Marketingkommunikation gelernt zu haben, hilft mir jedoch oft bei beruflichen sowie privaten Entscheidung weiter.

Welchen Tipp geben Sie den aktuellen Schülerinnen und Schülern für den Beruf Kaufleute für Marketingkommunikation (Klassen MA20A3, MA21A3) für die weitere Gestaltung ihrer Ausbildungszeit in Betrieb und Berufsschule bis hin zur Prüfung?

Proaktiv mitarbeiten, egal, ob in der Schule oder im Betrieb, ist mir sofort in den Kopf gekommen. Eigene Wünsche und Gedanken formulieren zu können und in dem Konstrukt der dualen Ausbildung umsetzen zu können, ist hilfreich und spannend. Für die Prüfung gibt es meiner Meinung nach nicht „den einen Tipp“, jeder ist da doch ein anderer Lerntyp. Wer sich jedoch gewissenhaft mit der Vorbereitung, vor allem zusammen mit euch Lehrkräften beschäftigt, wird mit Sicherheit ein gutes Ergebnis erreichen.

Zur Sache

Das Seedhouse in Osnabrück unterstützt und begleitet als Accelerator (Beschleuniger) Startups aus den Bereichen Agrar, Food und Digitalisierung auf ihrem Weg, mit Innovationen am Markt Fuß zu fassen.

www.seedhouse.de

Das Unternehmen FARMERSCENT unterstützt Landwirte in der Tierhaltung durch eine Verbesserung von Stallklima und Gesundheit der Tiere durch die Vernebelung ätherischer Öle. Gegründet wurde das Unternehmen von Victor große Macke und Alexander Grunwald 2018. Farmerscent ist eines der Startups, die aktuell im SEEDHOUSE in Osnabrück ansässig sind.

www.farmerscent.com

Das heute journal berichtet über das

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Stefanie Gerwesmann

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